Geschichtsprojekt Blankenburger Waldfriedhof V

Elisabeth Gnauck-Kühne
Pädagogin, Frauenrechtlerin, Autorin
(1850 1917)

Elisabeth Gnauck-Kühne war eine jener Frauen, die bereits am Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland die sozialen Belange und Rechte von Frauen thematisierte und aktiv für ihre Gleichberechtigung eintrat. Für eine Zeitgenossin war sie die erste deutsche Sozialpolitikerin im modernen Sinne.

Lesezeit: 5 Minuten

Elisabeth Gnauck-Kühne,  mit vollem Vornamen Caroline Franziska Elisabeth, war die Jüngste von drei Geschwistern und wurde am 2. Januar 1850 als Tochter des Staatsanwaltes Friedrich August Kühne und dessen Frau Maria Dorothea Henriette in Vechelde bei Braunschweig geboren. Mit der Versetzung des Vaters kam sie 1856 nach Blankenburg.

In Lichtenstein/Sa. absolvierte sie mit 17 Jahren das Königlich Sächsische Lehrerinnenseminar und arbeitete anschließend als Privatlehrerin und Erzieherin u. a. in Paris und London.

1875 im Alter von 25 Jahren gründete sie gemeinsam mit ihrer Schwester Marie in Blankenburg (Harz) ein „Erziehungsinstitut für Töchter höherer Stände“, das 25 Mädchen offen stand. Als Leiterin der Bildungseinrichtung war sie finanziell unabhängig, was zu dieser Zeit einer Sensation glich. Diese Unabhängigkeit verlor sie jedoch 1888 durch eine Eheschließung. Sie hatte den Blankenburger Nervenarzt Rudolf Gnauck geheiratet. Die Ehe scheiterte schon nach vier Monaten. Die förmliche Scheidung erfolgte 1890, bei der Rudolf Gnauck als alleinschuldig befunden wurde. Den Namen Gnauck behielt sie als zweiten Nachnamen.

Als geschiedene Frau wurde Gnauck-Kühne trotz des eindeutigen Urteils von den gesellschaftlichen Konventionen geächtet. Auch das Amt als Schulleiterin konnte sie nicht wieder antreten. Für eine kurze Zeit floh sie regelrecht ins Ausland nach Florenz, Cannes und Capri.

Diese Erfahrungen nach der Scheidung waren der Auslöser, sich mit der rechtlichen Stellung der Frau zu befassen. Nach 1890 kämpfte sie für sich um das Recht auf höhere Bildung. Das war ihr zunächst verwehrt worden, da sie weder ein Abitur bzw. Reifezeugnis besaß, noch dem männlichen Geschlecht angehörte. In einem Realkurs für das weibliche Geschlecht erwarb sie 1891 die Voraussetzung zum Studium. Noch im selben Jahr veröffentliche sie ihre Streitschrift ,,Das Universitätsstudium der Frau“ und sorgte damit für Furore.

Die Wirkung, die ihre Schriften auslösten, wurde deutlich, als sie 1893 für ihr Werk ,,Ursachen und Ziele der Frauenbewegung“ die Bronzemedaille bei der Chicago Weltausstellung erhielt. Für ein weiteres Werk, „Die Lage der Arbeiterinnen in der Berliner Papierwarenindustrie. Eine soziale Studie“ arbeitete sie kurzzeitig in einer Berliner Kartonagenfabrik. Sie wollte die menschenunwürdige Lage der Frauen authentisch belegen können. Zusammen mit Margarete Behm (1860-1929) gründete sie in Berlin eine evangelisch-soziale Frauengruppe.

Mit ihrem Schaffen hatte sie auch die Aufmerksamkeit des Nationalökonomen Gustav Schmoller erregt. 1895 hatte sie erreicht, dass ihr durch eine Sondergenehmigung des preußischen Kulturministers gestattet wurde bei Gustav Schmoll ein Studium für Sozialwissenschaften und Volkswirtschaftslehre aufzunehmen.

Ein Meilenstein wurde für sie der 6. Juni 1895. An dem Tag hielt sie das Hauptreferat des 6. Evangelisch-Sozialen Kongresses (ESK) in Erfurt. Bis dahin hatte noch nie eine Frau auf diesen Kongressen gesprochen. Berichte vermerkten, dass sie eine Sensation unter den zahlreichen Männern war. Sie referierte über die soziale Lage der Frau aus christlicher Sicht. Dabei beschränkte sie sich nicht auf die Lage der Arbeiterinnen. Trotz Kritik vorab richtete sie den Blick auch auf die Probleme bürgerlicher Frauen und deren Recht auf Arbeit, Bildung und Selbstorganisation.

Ein Jahr später unterstützt sie den Streik von Berliner Konfektionsarbeiterinnen.

In der Berliner Zeitung „Tägliche Rundschau“ erschien 1897 ein Aufsatz von Elisabeth Gnauck-Kühne unter dem Titel „Der Wettbewerb zwischen Mann und Frau“. Ein Beitrag, der selbst im damaligen Blankenburger Kreisblatt nachgedruckt wurde.

Doch all das fordert von ihr gesundheitlichen Tribut. Gnauck-Kühne erleidet 1897 einen Nervenzusammenbruch. Sie tritt vom Vorsitz der evangelisch-sozialen Frauengruppe zurück und sucht eine Neuorientierung in der Religion und der Literatur. 1898 erscheint von ihr die Märchensammlung „Goldene Früchte aus dem Märchenlande“. Im Jahr 1900 trat sie als Herausgeberin des Buches „Aus Wald und Flur. Märchen für sinnige Leute“ in Erscheinung. Ein von ihr ebenfalls geschriebenes Drama mit dem Titel „Christine“ wird 1910 in Düsseldorf uraufgeführt.

Am 24. März 1900 konvertiert sie in Mautern in der Steiermark zum katholischen Glauben und lebt für einige Monate im Kloster der Josephsschwestern in Trier. Ihr Übertritt zum Katholizismus änderte nichts an ihrer Auffassung zur Frauenfrage. Sie blieb daher auch mit dem Deutsch-Evangelischen Frauenverband im Kontakt. Ihr Briefwechsel mit Clara Zetkin belegt, dass sie die Gleichberechtigung der Frau als gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe betrachtete. Sie bedauerte, dass sich die proletarische Frauenbewegung bewusst von der bürgerlich-christlichen distanzierte und sich von ihr nicht repräsentiert fühlte und somit eine Zusammenarbeit kaum zustande kam. In der 1992 erschienenen ,,Chronik der Frauen“ wird sie von der Friedens- und Frauenforscherin, der Historikerin Annette Kuhn (1934-2019), sogar als katholische Zetkin bezeichnet.

Am 16. November 1903 gründete sie den Katholischen Frauenbund, der noch heute als Katholischer Deutscher Frauenbund (KDFB) besteht.

Während des ersten Weltkrieges folgte sie dem Zeitgeist und proklamierte kontroverse und nationalistische Meinungen und Texte, in denen sie andere Länder, wie Frankreich, abwertete. 1914 organisierte sie in Blankenburg die Kriegshilfe und war in Lazaretten tätig.  

Am 12. April 1917 stirbt sie in ihrem Haus in Blankenburg an einer Lungenerkrankung, die sie sich bei einer ihrer Reisen zugezogen hatte.

So wie ihr Lebensthema, die Gleichberechtigung der Frau, aktuell geblieben ist, ist auch die Erinnerung an Sie nicht verblasst. 1948 war es Helene Weber (1881-1962), eine der (nur) vier Mütter des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, die Gnauck-Kühne im Parlamentarischen Rat posthum als „Deutschlands erste Sozialpolitikerin“ bezeichnete.

Für sie war es der Kampf von Frauen, wie Elisabeth Gnauck-Kühne, die es möglich machten, dass nach harten politischen Auseinandersetzungen im Parlamentarischen Rat der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Eine gleichlautende Formulierung fand auch in die erste DDR-Verfassung vom 7.10.1949 Eingang.

Heutige Spuren

Das Grabmal für Elisabeth Gnauck-Kühne befindet sich heute an der katholischen St. Josefskirche in Blankenburg. Es wurde 1995 vom Waldfriedhof dorthin umgesetzt.

Die Straße am Standort des Lehrinstituts von Gnauck-Kühne ist heute nach ihr benannt. Ein Zusatzschild unter dem Straßennamen weist auf ihre Bedeutung hin.

Am Wohn- und Sterbehaus von Elisabeth Gnauck-Kühne in der Blankenburger Mozartstraße 3 (früher Walhallastraße 3) erinnert eine Gedenktafel an sie, die ein Jahr nach ihrem Tode vom Katholischen Frauenbund Deutschlands angebracht wurde.

Das Projekt

Der Blankenburger Waldfriedhof ist mit seinen Grabstätten ein regionaler Spiegel deutscher Geschichte, die in ihrer Zeit von hier lebenden Menschen getragen und in vielen Fällen aktiv mitgestaltet wurde.

Die Epochen und Ereignisse ließen sich oft an mehreren Personen abbilden, Bei deren  Auswahl handelt es sich um eine notwendige Einschränkung. Die Inhalte sind von Schülerinnen und Schülern und geschichtlich interessierten Bürgerinnen und Bürgern zusammengetragen worden und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie folgen den Grundsätzen, geschichtliches Interesse zu wecken und die jeweiligen Lebenswege, Prozesse und Entwicklungen aus dem Blickwinkel der freiheitlich demokratischen Grundordnung darzustellen.

Das Projekt ist in Kooperation mit dem Land Sachsen-Anhalt, der Stadt Blankenburg und dem VHS-Bildungswerk entstanden. Regionale Bezüge und Hinweise auf weiterführende Quellen sollen motivieren, sich gemeinsame Geschichte zu erschließen.

Für weiterführende Hinweise und etwaige Korrekturen ist das Team Friedhofsprojekt offen. Für die Vermittlung steht das Stadtarchiv als Ansprechpartner zur Verfügung.

Quellen

Elisabeth Gnauck-Kühne: Aufzeichnungen zum Glaubenswechsel, in: Digitale Quellenedition Konversionserzählungen, hg. von Gesine Carl und Angelika Schaser [21.08.2008], online: konversionen.uni-hamburg.de

Spuren des Löwen / Geschichte und Tradition in Braunschweig und Blankenburg, Bernhard Kiekenap, Appelhans Verlag BS, 2002, S. 56ff

Helene Lange, Lebenserinnerungen, Herbig, Berlin 1925, Kap. 32, online auf: projekt-gutenberg.org

Das Universitätsstudium der Frauen. Ein Beitrag zur Frauenfrage. Oldenburg 1891.

Ursachen und Ziele der Frauenbewegung. Berlin 1893.

Die soziale Lage der Frau. Vortrag gehalten auf dem 6. Evangelisch-sozialen Kongresse zu Erfurt am 6. Juni 1895. Berlin 1895.

Die Lage der Arbeiterinnen in der Berliner Papierwarenindustrie. Eine soziale Studie. Leipzig 1896.

Das soziale Gemeinschaftsleben im Deutschen Reich. 1909.

Die deutsche Frau um die Jahrhundertwende. Statistische Studie zur Frauenfrage, mit sechs farbigen Diagrammen. Berlin 1904.

Einführung in die Arbeiterinnenfrage. Mönchengladbach 1905.

Warum organisieren wir die Arbeiterinnen. Hamm 1905.

Die Organisation der Patronagen. Vortrag, gehalten auf der 2. Mitgliederversammlung des Verbandes süddeutscher Patronagen für jugendliche katholische Arbeiterinnen zu München am 16. Juni 1907. München 1907.

Das soziale Gemeinschaftsleben im Deutschen Reich. Leitfaden der Wirtschafts- und Bürgerkunde für höhere Schulen, Kurse und zum Selbstunterricht. Mönchengladbach 1914.

Verweis auf (großer Teil ihrer Werke zum Nachlesen): https://www.digitale-sammlungen.de/index.html?c=autoren_index&ab=Gnauck-K%C3%BChne%2C+Elisabeth&l=de

Verweis auf (Werke von und über sie): https://www.meta-katalog.eu/Search/Results?lookfor=Gnauck-K%C3%BChne%2C+Elisabeth&type=AllFields

Internet

https://www.aphorismen.de/suche?f_autor=4320_Elisabeth+Gnauck-K%C3%BChne

https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/elisabeth-gnauckkuehne/

https://zeitzeichen.net/archiv/2017_April_die-frauenrechtlerin-elisabeth-gnauck-kuehne

https://whoswho.de/bio/elisabeth-gnauck-kuehne.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_Gnauck-K%C3%BChne

http://www.engagiert.de/startseite/ausgabe-detailseite/article/ein-plaedoyer-fuer-versoehnung/

https://de.wikipedia.org/wiki/Katholischer_Deutscher_Frauenbund

http://www.kath.net/news/59219

https://www.frauenbund.de/nc/presse/pressemitteilung-detail/article/elisabeth-gnauck-kuehne/

https://www.meta-katalog.eu/Search/Results?lookfor=Gnauck-K%C3%BChne%2C+Elisabeth&type=AllFields

https://www.deutschlandfunk.de/emanzipation-die-fromme-frauenrechtlerin.886.de.html?dram:article_id=383604

Artikel zu ,,Unbekannte Schild-Bürger“:

https://www.volksstimme.de/nachrichten/lokal/wernigerode/539275_Unbekannte-Schild-Buerger.html

Artikel zur Pension ,,Haus Elisabeth“:

https://www.harztourist.de/uebernachtungen-unterkuenfte/blankenburg-harz/pension-haus-elisabeth/1_99_247.html

Bilder

Grabstele, St. Josephskirche, Helsunger Straße 40, Foto: B. Falkner

Tafel am ehem. Wohnhaus Mozartstraße 3, Foto: B. Falkner

Weitere Bilder siehe Wikipedia

Impressum

Arbeitsgemeinschaft Geschichte des Gymnasiums „Am Thie“ Blankenburg (Harz)

Bearbeitung: Robin Johne 11a

Begleitung : Ulrich-Karl Engel (Team Friedhofsprojekt)

Projektleitung: Benedict Volkert

Internetpräsentation: Jörn Zuber

Für die Unterstützung bei der Erarbeitung der Seite danken wir besonders dem Stadtarchivar, Herrn Kasper.

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